Wunschkoalitionäre und Bruchpiloten

Veröffentlicht am 13.01.2010 in Bundespolitik

Etwas über drei Monate ist es her, seit dem 27.09.2009, jenem denkwürdigen Wahlabend, an dem die christ-liberale Koalition vom Wähler ihren Regierungsauftrag erhalten hat. Die SPD fuhr ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis bei einer Bundestagswahl seit Kriegsende ein, die FDP ihr bestes und die Union kam mit einem blauen Auge davon.
Trotzdem kann sich seit diesem Tag die neue schwarz-gelbe Regierung auf eine solide Mehrheit stützen, selbst ohne die vielen Überhangmandate, welche die CDU/CSU, letztmalig in dieser Art und Weise per Richterspruch erlaubt, errungen hat.

Die Wunschkoalition, schon vor der Wahl als solche von verschiedenen Vertretern der Regierungsparteien so tituliert, war möglich geworden und vom Wähler auch so gewollt. Bessere Startvoraussetzungen konnte es kaum geben, zumal politische Schnittmengen in hohem Maße angeblich vorhanden waren. Der Koalitionsvertrag wurde in rekordverdächtiger Zeit innerhalb von vier Wochen zusammengenagelt und galt wegen des Tempos der Vertragsverhandlungen als Beispiel für das Harmonieren der Vertragspartner. Mittlerweile kristallisiert sich aber heraus, dass gerade dieses schwammige und wenig präzise ausformulierte Werk der Grundstein für das mediale Chaos der jetzigen Tage ist. Durch die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU, wobei die beiden Parteien oftmals durchaus unterschiedliche Positionen vertreten, und unter Hinzunahme der FDP waren nun drei Köche dabei, die koalitionäre Suppe zu kochen. Wie der Volksmund weiß, verderben viele Köche den Brei; und so kam es auch. Die Interpretation des Koalitionsvertrages gestaltet sich wie das Lesen aus dem Kaffeesatz. Ein jeder erhält das Ergebnis, dass er sich wünscht.
Die CDU veranschlagt für sich, der Vertrag zeige eine eindeutige christdemokratische Handschrift, was das auch immer sein soll. Die CSU bedient ihre wertkonservative bajuwarische Stammwählerschaft mit Steuerermäßigungen für das Hotelgewerbe ein einer Herdprämie von 150 € pro Kind und Monat für KITA-Verweigerer und Zuhauseerzieher; ein Schlag ins Gesicht für jeden, der Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Gesellschaft eingliedern will. Die durch Unions-Leihstimmen erstarkte und künstlich aufgeblähte FDP betreibt jedoch unverhohlen eine reine Klientelpolitik ohne Rücksichtnahme auf andere gesellschaftliche Gruppen und einen Blick für das Ganze. Obwohl wir uns noch mitten in der größten Weltwirtschaftskrise seit 1929 befinden, und obwohl wir hierdurch bedingt die größte Nettoverschuldung der Bundesrepublik Deutschland vornehmen mussten, um das Land durch die Krise zu bringen, werden Steuererleichterungen für den gehobenen Mittelstand und das Unternehmertum in zweistelliger Milliardenhöhe auf den Weg gebracht, wohlwissend, dass wir uns das nicht leisten können. Als soziales Deckmäntelchen werden pro Kind 20 € an Kindergeld mehr ausgeschüttet, gleichzeitig können durch steuerliche Änderungen Besserverdienende einen vierstelligen Eurobetrag pro Kind absetzen. Auf dem Rücken der Masse der Beschäftigten werden Steuergeschenke in Milliardenhöhe verteilt, die unsere Kinder und Enkel noch bezahlen dürfen.
Auch personell stottert der Regierungsmotor beim Anlassen erheblich; der vom Verteidigungs zum Arbeitsminister mutierte Franz Josef Jung stolpert über den Luftangriff von Kunduz und muss mitsamt Staatssekretär und Generalinspekteur der Bundeswehr seinen Hut nehmen. Der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg hat Mühe, sich selbst aus dem Strudel dieser Affäre zu befreien.
Was und wohin diese Koalition zur Zeit will, ist nicht nachvollziehbar; aus dem tiefverschneiten Wildbad Kreuth meldet sich die CSU mit einer Ablehnung der Steuerpläne der FDP zu Wort; die FDP wiederum fordert Vertragstreue aus dem Koalitionsvertrag ein; die CDU interpretiert diesen Vertrag so, dass die Vertragstreue gegeben ist. Na was nun?
Zu alledem dringt kein Wort aus dem Kanzleramt; Frau Merkel hüllt sich in Schweigen und versucht wie weiland Helmut Kohl die Probleme auszusitzen. Von Richtlinienkompetenz keine Spur. Um das Chaos komplett zu machen, fordern nun Unionspolitiker aus der dritten Reihe ein Machtwort der Kanzlerin und wünschen mehr konservative Politik und Vermittlung christlicher Werte. Schöner kann man eine Bruchlandung in Regierungsverantwortung nicht gestalten. Diese Koalition ist als Tiger abgesprungen und als Bettvorleger gelandet. Viele Bürger werden sich nach der ruhigen und geradlinigen Politik aus schwarz-roten Tagen zurücksehnen.

 

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